Wandern im Mittelgebirge

Wenn man diese Überschrift liest, dann ist der erste Gedanke: Aber das machen wir doch schon erfolgreich seit vielen Jahren! Wenn aber dann unter diesem Thema ein Wochenendseminar mit vielversprechendem Inhalt und Wechsel zwischen Theorie und Praxis angeboten wird, und das noch in unserer Sektion, also vor der Haustüre, dann gibt es nur eine Entscheidung: „Da musste hin!“ Also meldeten wir uns an. Denn wenn ein Wanderleiter aus unserer Sektion ehrenamtlich ein Wochenende für solch ein Seminar opfert, dann hat er bestimmt Besonderes zu bieten.

Und so war es auch.
An beiden Tagen gab es vormittags die Theorie und nachmittags die Umsetzung der Theorie in die Praxis mit jeweils einer Wanderung. Die Streckenlängen betrugen ca. 10-12 km. Es wurden u.a. die Schwerpunktthemen Planung und Durchführung von Touren, Metakommunikation, Dreifachblick, Navigation und Ausrüstung behandelt. Der Praxisteil überraschte uns immer wieder mit  interessanten Momenten.

Bei der zweiten Wanderung musste nach kurzer Zeit schon eine Umgehung gesucht werden, da der geplante Weg kaum noch zu erkennen und hoch zugewachsen war. In diesem Fall war es für uns problemlos einen Ersatzweg zu finden, er war in Sichtweite. Das kann aber in anderen Fällen, z.B. bei Wegsperrungen durch Baumfällarbeiten, durchaus zu längeren Umwegen führen. Da damit der zugrunde gelegte Strecken- und Zeitplan nicht mehr aktuell ist, muss unter Berücksichtigung  einiger Faktoren der weitere Ablauf der Wanderung neu festgelegt werden.

Aber wurde in der Theorie nicht noch das Thema Kreuzpeilung angesprochen? Diese Methode wird zur eigenen Positionsbestimmung angewendet, wenn man mal den Überblick verloren hat. Das wollten wir unbedingt ausprobieren, also nicht den Überblick verlieren, sondern die Kreuzpeilung durchführen. Auf einer Anhöhe war es dann soweit. In der Wiese vor uns wurde die passende Wanderkarte abgelegt und eingenordet.  Zwei Peilziele waren auch schnell gefunden, so dass Henry die beiden Winkel messen und auf die Karte übertragen konnte. Bei dieser Aktion waren die interessierten Teilnehmer kniend oder über der Karte gebeugt  konzentriert dabei und verfolgten die Nutzung des Kompasses genau. Zugegeben, auf einen Außenstehenden wird diese Menschenansammlung dicht über einer auf dem Boden liegenden Wanderkarte schon eigenartig gewirkt haben. Aber egal, wir wollten es wissen. Das Fazit unserer Kreuzpeilung war: Wenn die Deklination des Kompasses richtig eingestellt ist und die Winkel der Peilung recht genau ermittelt werden können, wird es gelingen.

Unsere Peilung kam zu dem Ergebnis, dass wir uns annähernd dort befanden, wo wir sein sollten. Das war ein toller Erfolg und gleichzeitig ein positives Signal an die Teilnehmer: We are not lost!
Das machte Lust auf mehr Praxis. Auf dem weiteren Weg sahen wir am Wegesrand uns unbekannte Blumen. Henry konnte helfen. Er aktivierte auf seinem Handy die App „Flora Incognita“, machte ein Foto und konnte uns ausführlich über diese Blume informieren.

Damit waren wir beim Thema Umweltbildung, das im DAV einen hohen Stellenwert einnimmt.
Es geht bei Wanderungen nicht nur darum, eine Wanderstrecke in einem angemessenen Wandertempo zu begehen, sondern auch Umwelt und Natur im Auge zu behalten und an interessanten Stellen innezuhalten und zu ergründen und natürlich auch zu genießen.

Auch auf dem weiteren Streckenverlauf konnte ein wichtiger Punkt aus der Theorie in die Praxis umgesetzt werden. Kurz vor einer Abzweigung schaute Henry auf die Wetter-App und teilte uns mit, dass in unserer geplanten Wanderzeit Regen aufkommen sollte. Entsprechend der Theorie zum Thema Sicherheit beschlossen wir, einen etwas kürzeren Rückweg zum Startort zu  nutzen. Dort angekommen hatte man den Eindruck, dass dieses Szenario mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) abgesprochen sein musste. Als wir nämlich den Parkplatz betraten, fing es leicht an zu regnen. Gefühlt waren es 600 Tropfen pro Quadratmeter und Minute, also eine Wassermenge, die jeder noch so wasserscheue Wanderer locker wegstecken kann.

Man sagt ja im Spaß: Die Experten wissen, wie es in der Theorie ablaufen könnte, in der Praxis funktioniert es aber nicht. Das war bei diesem Seminar anders. Es wurde anschaulich und eindrucksvoll belegt, dass die übermittelte Theorie völlig im Einklang mit der Praxis stand und natürlich auch weiterhin stehen wird.

Wir bedanken uns bei unserem Schulungsleiter Henry Niemeyer, der auch als Wanderleiter in unserer Sektion tätig ist, für die Geduld mit uns, das gekonnte Vermitteln von Theorie und Praxis, die Aha-Momente und die daraus resultierende Motivation das erlangte Wissen auch nach dem Kurs eigenständig weiter vertiefen zu wollen.

Hans Günter und Christiane Reuschenbach